Design Thinking Workshops als Graphic Recorder begleiten

In den letzten Wochen war ich als Graphic Recorderin (oder „Scribe“, wie manche sagen) wieder auf einigen Design Thinking Workshops unterwegs und möchte euch hier einen kleinen Überblick über die Design Thinking Methode an sich sowie die Nutzung eines Graphic Recordings bei einem solchen Workshop geben.

Design Thinking – was ist das?

Auch wenn der Name auf ein design-spezifisches Format hinzuweisen scheint, hat Design Thinking erst einmal gar nicht so viel mit Design im alltäglichen Sinne zu tun. Vielmehr beschreibt der Design Thinking Prozess eine Methode, mit der sich über verschiedene Phasen einer Problemstellung angenähert sowie ein Lösungsansatz entwickelt wird. Dabei kommen in der Regel Menschen verschiedener Disziplinen, Altersstufen und Hierarchien in einem Kreativität fördernden Umfeld zusammen. Die Benennung selbst stammt vermutlich daher, dass die Design Thinking Methodik häufig mit der Arbeit von z.B. Produktdesignern verglichen wird, die sich über die Ästhetik des Produktes hinaus intensiv mit den Bedürfnissen und Motivationen des Endnutzers beschäftigen und über mehrere Entwurfs- und Iterationsschleifen nutzerzentrische Lösungen finden.

Während dieser Innovations-Workshops gibt es einige Spielregeln zu befolgen: Es gilt visuell zu arbeiten, Kritik jeder Art zu Hause zu lassen und stets fokussiert zu bleiben. Es soll frei gedacht werden und gerade die wilden und verrückten Ideen sind dabei willkommen – und davon am besten so viel wie möglich! Man baut auf den Ideen der anderen auf, hat dabei stets den Nutzer im Fokus und hat ganz nebenbei auch viel Spaß mit den anderen Teilnehmern. Und ganz wichtig: Scheitern ist ein ganz gewollter Teil des Prozesses und gehört dazu. Früh und oft zu scheitern hilft, die bestmögliche Lösung zu finden.Design Thinking Regeln Prinzipien Spielregeln Illustration Graph

Design Thinking Phase 1: Empathize

 Design-Thinking-Phasen Empathize IllustrationWährend der Empathie-Phase des Design Thinking Prozesses geht es vor allem um das genaue Verständnis der Zielgruppe. Was bewegt diese Menschen? Was zeichnet sie aus? Welche Wünsche, Ziele und Herausforderungen haben sie? Man wechselt die Perspektive und versucht, die Welt durch die Augen der anderen zu sehen. Dabei helfen genaue Beobachtung genauso wie bedeutungsvolle Gespräche und Interviews. In der Empathie-Phase werden häufig auch sogenannte Personas kreiert. Eine Persona ist eine sehr konkrete, fiktive Person, der genau das Problem zugeschrieben wird, das im Prozess gelöst werden soll. Dabei spielen Aussehen und Privatleben genauso eine Rolle wie das Berufsleben. Personas helfen, sich mit der Zielgruppe und der Problemstellung noch besser zu identifizieren.

Design Thinking Phase 2: Define

 

 In der Definitions-Phase geht es darum, all die gewonnenen Informationen zusammenzutragen und die Essenz der Einblicke („insights“) herauszufiltern. Zahlen und Statistiken sind hierfür wenig relevant, vielmehr müssen diese hinterfragt werden, um das „Warum“ dahinter ausfindig zu machen. In dieser Prozess-Phase des Design Thinking sollte die Fragestellung aufgrund der Erkenntnisse konkretisiert werden. Dafür werden häufig „How might we…“-Fragen angewandt, die weder zu weit noch zu eng gefasst sein sollten.

Die Define- und Empathize-Phasen können übrigens sehr eng miteinander verzahnt sein und sich in mehreren Iterationen gegenseitig unterstützen.

Design Thinking Phase 3: Ideate

Während in den ersten beiden Phasen des Design Thinking  das Problem und die Zielgruppe identifiziert wurden, ist die Ideations-Phase der Beginn der Lösungssuche. In verschiedenen Brainstorming-Zyklen werden in sehr kurzer Zeit sehr viele Ideen generiert. Dabei ist wirklich kein Gedanke zu verrückt, zu abwegig oder zu banal, um aufgeschrieben zu werden. Die gesammelten Geistesblitze aller Teilnehmer (der entsprechenden Gruppe) werden schließlich nach Oberthemen geclustert. Anschließend darf jedes Gruppenmitglied seine favorisierten Ideen nennen. Am Ende der Ideations-Phase sollte sich das Team für einen gemeinsamen Lösungsansatz entscheiden.

Design Thinking Phase 4 und 5: Prototype and Iterate

Design-Thinking-Phasen Iterate

Nach Herausarbeitung einer ersten Lösungsidee geht es dann sehr schnell in die Prototypen-Phase. Den Teilnehmern werden allerlei Materialen zu Verfügung gestellt, um ihre Ideen haptisch und visuell erlebbar zu machen. Dabei gilt die Grundregel „Better done than perfect!“, also lieber etwas unvollkommenes, aber fertig vorführbares in den Händen zu haben als ein perfektes Konzept ohne greifbare Ausführung. Die Prototypen sollten möglichst schnell in einen Test und Iterationszyklus eingebunden werden, denn jedes Feedback hilft, den Prototypen zu verbessern. Wie schon zuvor angedeutet: Frühes Ausprobieren und Scheitern sind ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur idealen Lösung. Manches Mal führt einen auch die Prototypen-Phase zurück zur Zielgruppenbeobachtung und Problemdefinition oder zur Generierung ganz neuer Ideen. Das Schöne am Design Thinking Prozess ist, dass er tatsächlich nicht linear zu verstehen ist, da alle Zahnräder stets ineinander greifen.

Die Rolle des Graphic Recorders in Design Thinking Workshops

Als Graphic Recorder gibt es auf einem Design Thinking Workshop verschiedene Einsatzmöglichkeiten. Natürlich kann der Zeichner alle im Plenum vorgetragenen Inhalte (z.B. Impulsvorträge, Einführungsworte zu den einzelnen Phasen sowie Gruppendiskussionen) auf einem Gesamtbild visuell festhalten. Dadurch haben die Teilnehmer in den Pausen und Übergangsphasen immer wieder einen Ort des Überblicks über den derzeitigen Standpunkt des Prozesses sowie die wichtigsten Kernaussagen der Vorträge greifbar illustriert. Es bietet sich für einen Workshop mit großer Teilnehmerzahl ebenfalls an, für jede Gruppe ein eigenes Bild zu zeichnen, in dem die entscheidenden Momente und Beschlüsse des Teams festgehalten werden. Bei genug Zeit ist es immer schön, die einzelnen Teammitglieder namentlich und als kleine Karikatur einzubinden. So kann man die Kollegen sofort ihrem Team und ihrer Problemstellung zuordnen – und natürlich freut sich zudem jeder Teilnehmer über ein kleines Avatar seiner eigenen Person.

Auf diese Illustration der einzelnen Design Thinking Gruppen lassen sich übrigens auch die finalen Präsentationen wunderbar live graphic recorden. Ein schöner Abschluss. Und eine prima Übersicht über die Prozesse und Ergebnisse aller Gruppen!

Neben diesen Gesamtillustrationen kann der Graphic Recorder auch wunderbar die einzelnen Phasen unterstützen. So ist er meist eine große Hilfe, wenn es um die Identifizierung der Zielgruppe und die damit verbundene Erstellung einer Persona geht. Seine Visualisierung der erdachten Person hilft den Teilnehmern enorm, ein klares Bild des Charakters zu bekommen. Außerdem kann er sich mit dessen Problemen besser identifizieren und intensiver auseinandersetzen. Häufig ist es sinnvoll, sich hier als Zeichner wirklich aktiv mit der Gruppe über verschiedene charakterliche und visuelle Attribute zu unterhalten. So kann gemeinsam eine Persona entwickelt werden, mit der alle Teilnehmer zufrieden sind.

Außerdem ist der Graphic Recorder eine willkommene Unterstützung, wenn es in der Prototypen-Phase um die Visualisierung der Ideen geht. Es ist wichtig, dass die Workshop Teilnehmer gemäß der Design Thinking Grundregeln auch selbst visuell aktiv werden. Doch kann eine professionelle Zeichnung für die finale Präsentation helfen, den anderen Teilnehmern und der Jury (falls es eine gibt) die Idee besonders greifbar zu machen. Je nach Intensität des Workshops und der Notwendigkeit vieler Visualisierungen können natürlich auch mehrere Graphic Recorder auf einem Design Thinking Workshop aktiv werden und jeweils ein Team betreuen.

Ob man sich nun für alle oder nur einige der Einsatzfelder von Graphic Recording für einen Design Thinking Workshop entscheidet – in jedem Fall unterstützt der Zeichner die kreative Energie der Methodik enorm. Und schafft einen Mehrwert für Motivation, Erlebnis, Ergebnis und Erinnerung der Veranstaltung.

About Renate Pommerening

Renate Pommerening ist eine norddeutsche Illustratorin und Graphic Recorderin. Seit einigen gemeinsamen Projekten mit Anna Penkner im Illustrationsstudium sind die beiden quasi unzertrennlich und so gründeten sie 2014 zusammen das Studio Designdoppel, in dem sie mit Doppelpower an Illustrationen, Animationen und Livevisualisierungen tüfteln. Als echte Hamburgerin isst Renate Pommerening am liebsten Franzbrötchen - wenn auch laut ihrer Kollegin falsch herum. Mit Fischbrötchen kann sie aber weniger anfangen.